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Wir feiern heute einen Freiheitstag - Hildigund Neubert

Sonntag, 09. November 2025, 10:29 Uhr
(re) Hildigund Neubert ist die Vorsitzende des Bürgerbüro e.V. in Berlin - anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Friedliche Revolution im Herbst 1989 und den Fall der Berliner Mauer hält sie alljährlich am 9. November eine Rede, die wir hier für Sie bereitstellen. Entstanden ist diese heute hochkarätig besuchte Veranstaltung aus dem „Posaunenruf zum Mauerfall“, den der Verein „Bürgerbüro zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur“ Mitte der 90-er Jahre initiierte. Inzwischen ist dies eine feste Tradition geworden und die zentrale Feier für die Berliner und die Bundespolitik.

"Wir feiern heute einen Freiheitstag - Den Tag, an dem die Mauer des Großgefängnisses DDR fiel.

Die „tragende Mauer“ des Systems der zwei feindlichen Blöcke stürzte, oder vielmehr: friedlich zerbröselte sie vor dem Freiheitswillen der Bürger.

Die Freiheitssehnsucht war in der DDR-Zeit immer groß gewesen. Deswegen war die Flucht aus der DDR ein nicht lösbares Problem der Machthaber. Und auch die Freiheitssehnsucht derer, die dablieben, malte die Freiheit in den schönsten Farben: reisen, wohin man will, reden, was man möchte, die wirklich guten Sachen machen, rauschende Feste feiern, Kunst ohne Zensur und mit allen Mitteln. Die Freiheit – das ersehnte Paradies aller, die Gefangenschaft und Unterdrückung erleben. Aus dieser Vision wächst eine große Kraft, die alle Freiheitsbewegungen trägt und in jeder Diktatur Unruhe stiftet.

Swoboda eto rai --- Freiheit ist das Paradies. Oder auch Freiheit ist ein Paradies.

Swoboda eto rai S. E. R. Viele Gefangene in Russland lassen sich diese drei Buchstaben als Tattoo stechen.

1989 drehte der russische Autor und Regisseur Sergej Bodrow einen Film mit diesem Titel.

Der 13jährige Sascha lebt in einem gefängnisartigen Heim für schwer Erziehbare. Er ist wie ein Tiger im viel zu kleinen Käfig. Auch er trägt das Tattoo S.E.R. Immer wieder gelingt ihm die Flucht, immer wieder wird er eingefangen und sadistisch bestraft. Er will seinen Vater finden. Nach einer Reise immer entlang dem prekären Rand des verfallenden Landes findet er ihn im Straflager Archangelsk. Der Direktor erlaubt ihnen einige gemeinsame Stunden.

Der Vater, zerstört und lebensmüde von dem Kreislauf aus Rebellion und Strafe, öffnet sich nur langsam. Das Kind spürt seinen Schmerz und seine Sehnsucht. „Wenn du entlassen wirst, nehme ich dich zu mir.“ sagt es. Und zum Direktor: „Sie müssen ihn zum Arzt bringen, er hat die ganze Nacht gehustet!“

Dann wird Sascha ins Erziehungsheim zurückgeschafft, wo ihn Dunkelhaft und die Rache der Gruppe erwarten. Der Junge, der die Freiheit suchte, fand eine Aufgabe und nahm sie an: Hoffnung stiften für den Vater.

So ein Tattoo bleibt lebenslang. Freiheit ist ein Paradies. Wer Unfreiheit erlebt und daran gelitten hat, trägt irgendwo in der Seele das Tattoo S.E.R. Swoboda eto Rai.

Das biblische Paradies ist ein schöner Garten, von Gott selbst angelegt und Gott setzte den Menschen hinein, „dass er ihn bebaute und bewahrte.“ (Gen. 2,15) Also kein Schlaraffenland des unverdienten, unendlichen Genusses. Vielmehr ein Verantwortungsbereich.

Bebauen und Bewahren.

Auch das Freiheitsparadies muss bebaut und bewahrt werden. Man kann darin Wein für die Freude ziehen und Hoffnungsbäume pflanzen, Bänke zum Verweilen aufstellen und Plätze schaffen zum Zusammenkommen.

Aber das alles macht Mühe und Arbeit, die man am besten mit anderen zusammen schafft.

Und alle irdischen Paradiese sind immer gefährdet von Machtgier und Egoismus, von Mord und Ausgrenzung, durch die Ausbeutung von Natur und Menschen.

Was sind wir bereit, zum Bewahren des Freiheitsparadieses zu tun? Dienen wir freiwillig? Lassen wir uns in die Pflicht nehmen? Braucht die Bewahrung der Freiheit heute Zwangsmaßnahmen?

An Tagen wie heute fühlt man wieder den Schmerz beim Stechen des Tattoos.

Dann schauen wir es wieder einmal an, um uns zu erinnern, warum wir es tragen.

Daraus wächst Kraft, um weiter zu arbeiten im Freiheitsparadies.

Hildigund Neubert

Nachtrag: Im letzten Jahr spielte erstmals der Limlingeröder Posaunenchor in Berlin zum 35. Jahrestag des Gedenkens.
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