Mittwoch, 22. Oktober 2014, 08:59 Uhr
vor der Ilfelder Kirche (Foto: Frank Tuschy)
Predigt zu 1 Thess 5,14-24 – Einführung
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater,
Christus, unserem Bruder,
und dem Heiligen Geist, unserem Tröster. Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
ich sehe was, was du nicht siehst. Ich spiele das mal mit Ihnen und Euch. Von hier oben kann ich gut sehen und habe fast alle im Blick. Ich sehe was, was Ihr nicht seht. Ich sehe: erwartungsfrohe, gespannte, auch skeptisch abwartende und zurückhaltende, herausfordernde, mitfiebernde und auch hoffnungsvolle Gesichter.
Ich sehe: Einblicke in den Kirchenkreis – Grüße aus den Gemeinden. Für den Gottesdienst in allen Kirchen am vergangenen Sonntag wirbelten diese farbenfrohen Grüße durch viele Orte in unserem Kirchenkreis. Was für eine Fülle. So sind nicht nur Sie aus Ihren Gemeinden heute nach Ilfeld gekommen, Sie haben gleich Ihre Kirche mitgebracht. Ich staune schon beim Hinsehen.
Ich sehe: Schwestern und Brüder, Ehrenamtliche und Hauptberufliche im täglichen Einsatz für das Evangelium. Ich sehe – und das lässt sich aus Ihren Bildern sehr gut ablesen – die Lebendigkeit christlicher Gemeinde. Doch mein Blick alleine reicht da nicht aus. Kommt, liebe Schwestern und Brüder, macht mit: Ich sehe was, was du nicht siehst. Mein Sehen braucht Euer Sehen. Es braucht unser gemeinsames Hinsehen mit wachen, ehrlichen und offenen Augen.
Zu einem solchen Blick ermuntert der Apostel Paulus seine Gemeinde in Thessaloniki. Ich lese uns aus den Abschlussworten des ersten Briefes an die Gemeinde:
Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Der Herr, unser Gott, segne an uns sein Wort. Amen.
Seht hin! Auf was? Auf Jesus Christus!
Die Mitte aller Ermahnung ist Christus.
Aus der Mitte der Worte des Apostel Paulus tritt uns Trost, Ermunterung und Zuspruch entgegen.
Es ist keine Ermahnung mit erhobenem Zeigefinger, keine gelbe Karte. Letztere soll den Unordentlichen gezeigt werden. Da ist von Zurechtweisung die Rede. Die anfängliche Ermahnung aber ist vielmehr im erbaulichen Sinne zu lesen: Wir bitten euch, wir ersuchen euch, wir ermuntern euch, wir trösten euch – all das ist hinter den Worten zu lesen, wenn der Apostel schreibt: Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder und Schwestern.
Ich halte es für ausgesprochen wichtig, das wahrzunehmen. Sonst überhören wir die Ermahnungen zu schnell. Wer will sich schon ermahnen lassen! Die Mitte aller Ermahnung ist Christus. So beginnt diese Mahnung nicht mit einem nie zu erreichenden Anspruch, sondern mit SEINEM Zuspruch. Schließlich traut uns Christus zu, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Sein Trost, seine Ermunterung, seinen Zuspruch tragen wir verheißungsvoll im Herzen. Jede und jeder für sich, haben wir die Zusage Gottes erfahren und erfahren sie täglich neu – Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes Getan hat. Diese individuelle, ganz persönliche Beziehung findet sich ein in die Gemeinschaft der Getauften. Glaube bleibt nicht für sich, er lebt nicht in der Isolation. Er entfaltet sich in der Gemeinde. Und wie jedes Zusammenleben, braucht auch die Gemeinde Regeln und eine Ordnung. An die gilt es sich zu halten. Dann müssen die Unordentlichen auch mal zurechtgewiesen werden.
Aber auch hier bleibt der Apostel nicht bei den Äußerlichkeiten. Schnell wird deutlich, weshalb die äußere Ordnung so wichtig ist: damit die Kleinmütigen getröstet und die Schwachen getragen werden können. Wäre das nicht mal ein Bild für unsere Gemeinden, für den Kirchenkreis Südharz? Ich sehe was, was du nicht siehst: Ermunterung, Erbauung, Trost und Zuspruch. Das setzt aber voraus, dass wir uns sehen und wahrnehmen.
In unserem Predigttext steckt noch ein weiteres Bild für Gemeinde. Es trägt die Linien der Fröhlichkeit, die Konturen des Gebets und den Grundton der Dankbarkeit. Das, so schreibt Paulus, ist der Wille Gottes in Jesus Christus.
Sind wir so? Zeigen wir dieses? Ich sehe was, was du nicht siehst…komm, zeige es mir. Das scheint bei den Schwestern und Brüdern in Thessaloniki nicht anders gewesen zu sein. Sonst hätte Paulus dies so nicht geschrieben, so mal er zu seinen Ermunterungen auch Ratschläge verteilt: Gebt dem Geist Raum zur Entfaltung. Hört auf das prophetische Wort. Prüft und behaltet, was Gut ist.
Gemeinde gelingt durch die Hinwendung zu Gott. Wir alle leben aus dem Zuspruch SEINER Güte und allein durch seine Barmherzigkeit. Nur darin kann die Prüfung Bestand haben. Nur an diesem Maßstab ist das Gute erkennbar. Ich sehe das, was du, o Gott, mir schenkst. Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Ich will noch einmal auf das Spiel zurückkommen Ich sehe was, was du nicht siehst. In diesem Spiel gibt es eine Besonderheit. Wenn ich tatsächlich herausfinden will, was mein Mitspieler gesehen hat, dann muss ich mich möglichst in seine Perspektive begeben.
Perspektivwechsel – dieses Wort wurde Programm. Was haben wir alles in den zurückliegen Jahren diskutiert und ausprobiert! Wir haben Wege gesucht, uns zu öffnen. Wir haben andere eingeladen, Kirche kennenzulernen. Die Nischen sind verwaist. Wir sind Kirche in der Welt; mit allen Herausforderungen und Problemen.
Paulus kann uns helfen, die richtige Perspektive, den richtigen Blick nicht zu verlieren: Christus ist die Mitte der Gemeinde. Dieser Mitte gilt unser Tun und Lassen. An dieser Mitte orientiert sich Ermahnung und Ermutigung. Aus dieser Mitte erfahren wir Trost und Zuspruch. Und zwar: für uns selbst genau so, wie für andere.
Das bewahrt uns davor, allen Menschen nach dem Mund reden zu müssen oder alle Trends mitzumachen. Prüft alles, das Gute behaltet. Es ermutigt uns dazu, ein klares Wort zu sagen und stärkt uns im Umgang mit den Kleinmütigen und Schwachen.
Und – als wolle er es noch einmal betonen – öffnet Paulus wieder den Blick. Immer wieder, so auch jetzt, webt sich für ihn das Unverfügbare in menschliches Tun ein. Der Friede Gottes bewahrt und lenkt, wirkt hinein in alle menschliche und institutionelle Vorläufigkeit. Diese zu gestalten, Lebensräume zu öffnen und Gemeinschaft lebendig werden zu lassen – das wollen wir gern tun. So füll‘ du uns, Herr, die Hände.
Ich sehe was, was du nicht siehst. Ab und zu sollten wir das spielen, damit wir nicht vergessen, was er uns alles Gutes getan hat und künftig tun wird. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.