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Die Eiswaffel – oder die Umkehr
Sonntag, 27. März 2016, 07:00 Uhr
Die Eiswaffel – oder die Umkehr
Eine Ostergeschichte
Er war unterwegs zu seiner Mission und zu seiner herrlichen Vollendung. In einer Viertelstunde würde er im Paradies sein. Er war ein Selbstmordattentäter. Sein Körper umhüllt mit Sprengstoffgürteln. So näherte er sich dem Bahnhof von Stockholm. Der Kongress war zu Ende; gleich würde sich der Bahnhofsvorplatz mit unzähligen Menschen füllen. Er wurde unsicher. Sah sich unauffällig um und tastete nach den Schnüren. Beruhigt stellte er fest: Es ist alles in Ordnung. Es würde kein technisches Versagen geben können. Nun hielt er Ausschau nach dem bestmöglichen Standort.
Plötzlich hörte er neben sich einen kleinen Aufschrei und dann ein klägliches Wimmern. Etwas verunsichert sah er sich um. Was könnte jetzt aufgrund eines ungebetenen Zufalls noch dazwischenkommen? Neben ihm lag ein kleines Mädchen auf dem Boden. Es hatte sich auf seine Eiswaffel konzentriert und nicht auf den Boden gesehen. Es war gestolpert und gestürzt. Das rechte Knie war blutig. Und es weinte. Aber im Fallen hatte es geschickt die Eiswaffel so gehalten, dass sie nicht zu Boden gefallen war. Eiswaffel gerettet. Und das Mädchen blickte ihn nun mit schmerzverzerrtem Gesicht hilfesuchend an. Er beugte sich vorsichtig nieder, hob das Mädchen auf und reinigte das blutende Knie. Das Mädchen weinte nicht mehr, sondern lächelte. Dann sah es ihn spitzbübisch an und hielt ihm wie zum Dank die intakte Eiswaffel entgegen. Er leckte. Und das Mädchen ging weiter.
Da merkte er, dass beim Bücken sich ein Kontakt an seinen Sprenggürteln gelöst hatte. Er hob an, seine Hand unmerklich und vorsichtig unter das Gewand zu schieben, um die Reparatur vorzunehmen. Aber er zog seine Hand zurück. Betätigte die Sicherungsautomatik und ging in seine Wohnung.
Pfr. Dr. Bodo Seidel, Niedersachswerfen
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