Meldung
Nachruf auf Pfarrer i.R. Rudolf Rüther
Sonnabend, 10. November 2018, 05:39 Uhr
THÜRINGER ALLGEMEINE - Ausgabe Nordhausen, 09.11.2018, S. 15 / Lokales
Der Mutmacher geht
Rudolf Rüther hinterlässt in Nordhausen große Spuren. Der Pfarrer gehörte zu den Hauptakteuren der Wende
Von Thomas Müller
Nordhausen. So habe ich mein Leben gelebt. Mit diesem Satz beginnt Rudolf Rüther seine Autobiografie. Er veröffentlichte sie 2010. Acht Jahre waren ihm noch vergönnt. Am 28. Oktober schloss sich der Kreis, der am 30. Juli 1929 an der Havel in Brandenburg begann. Im Nachhinein, schreibt der Pfarrer weiter, kam es mir so vor, als hätte ich auf das Morgen, oft auf ein besseres Morgen hin im Heute gelebt und gewirkt.
Damit fasst Rüther zusammen, was ihn ihn im Bund mit seiner Begleiterin Dietlinde ausmachte: Sie lebten. Davon 67 Jahre zusammen. Für sich, vor allem aber für andere.
In dieser Zeit gaben sie Menschen eine Hoffnung, dem Sozialismus einen Farbton mehr, Nordhausen eine Geschichte, die ohne sie vielleicht anders verlaufen wäre.
Mit den heißen Tagen der politischen Wende 1989 wird Rudolf Rüther vor allem in Verbindung gebracht. Er und seine Frau öffnen die Türen der Frauenbergkirche, wo andere noch lange verschlossen bleiben. Hier werden spätestens seit 1983 Debatten offen geführt, mit Rüther als Moderator. Kritik ist willkommen. Sie soll helfen. Hier findet am 20. September 1989 die erste Fürbittandacht statt. 20 bis 30 Menschen beten für Katrin Hattenhauer und weitere Nordhäuser, die bei Demonstrationen in Berlin und Leipzig festgenommen wurden. Hier entsteht das Neue Forum. Die Frauenbergkirche wird zur Keimzelle der Revolution in Nordhausen.
Hartmann, Wengler, Wehmann, Kray, Jendricke, Kube, Gebhardt. Viele derer, die damals aktiv waren, werden die Nachwendejahre der Stadt prägen. Tun es heute noch.
Rüther, der Name bleibt eng verbunden mit 1989. Doch hinter ihm steckt viel mehr.
Ich habe Pfarrer Rüther als einen erlebt, der es nicht hinnehmen wollte, dass die Partei- und Staatsführung die Kirche ins Abseits drängen wollte, der sich einmischen wollte , sagt Joachim Jaeger, damals Propst in Nordhausen. Sein Weg dazu sei nicht die Gesprächsverweigerung gewesen, nein, er habe Kontakt gesucht, versucht, ein Netzwerk zu knüpfen auch zum Staat. Sogar in die CDU trat er ein, in der Hoffnung, dem Sozialismus eine Facette geben zu können. Kurzum: Rüther wollte Vertrauen wagen.
Selbst seine Frau Dietlinde sah dies mit Sorge. Freundlich sein ja, miteinander sprechen ja, aber nicht zu eng zusammengehen , so schildert sie in ihrer Autobiografie ihre Position. Mein Mann war mehr Idealist, ich war klarer Realist.
Im Nachhinein kann man heute sagen, es war wohl ein Stück Vertrauen zu viel , resümiert Joachim Jaeger. Rüthers kritische Worte zum Einmarsch der Truppen in die CSSR im Jahr 1968 brachten ihm viel Ärger ein, ein Reise- und Redeverbot. Vielleicht gerade deshalb wurde er nicht müde zu widersprechen.
Als Pfarrer hätte er sich unter dem Schirm seiner Kirche auf bequemere Positionen zurückziehen können , meint der frühere Nordhäuser Bürgermeister Manfred Schröter. Doch er tat es nicht. Obwohl er mit dem Wiederaufbau seiner Frauenbergkirche alle Hände voll zu tun hatte. Obwohl er für jeden Stein Klinken putzen musste.
Zu den größten Tagen dürfte die Wiedereinweihung dieses Nordhäuser Gotteshauses gezählt haben. Am 3. Juli 1983. Wie weit weg war da schon das Jahr 1970, als die Rüthers in Nordhausen eintrafen, als der Weg zum Frauenberg noch eine Sandwüste war, rings um die Kirchenruine nur Schutthaufen, von Unkraut übersät.
Dass wenige Jahre später hier Geschichte geschrieben würde, selbst Rüther ahnte es sicher nicht. Dabei legte er mit seiner Frau und einigen Gefährten den Grundstein. Auch mit einer Jugendarbeit, die bei weitem nicht nur Christen ansprach. Wieder setzte der Pfarrer auf eine andere Strategie. Einmal nur am Anfang habe er einem Jugendweiheteilnehmer die Konfirmation verwehrt, wie die Kirche es empfahl, um zu überleben. Es war ein Fehler , räumt Rudolf Rüther im Jahr 2010 ein.
In seinem Haus saßen Alkoholkranke, saßen verzweifelte Menschen. Das Ehepaar Rüther half. Pfarrer Rüther hatte eine karitative Ader , bescheinigt ihm Joachim Jaeger. Ich habe es mehrfach erlebt, wenn ich zur Frauenberggemeinde kam, dass da gerade einer versorgt wurde, der dringend Hilfe brauchte. So war es folgerichtig, dass ausgerechnet Rüther nach der Wende sich aktiv daran beteiligte, eine diakonische Einrichtung in Nordhausen zu gründen. Deren Geschäftsführer er für Jahre wurde.
Mit ihm geht nicht nur ein Geistlicher, der oft ungewöhnliche Wege einschlug. Mit ihm geht auch ein politischer Mensch, ein Kämpfer. Einer, der in der Lage war, selbst seine eigene Kirche zu hinterfragen. Dass im Osten nur noch jeder Vierte in der Kirche sei, liege auch an ihr selbst, schrieb er 2010. Aber warum ist das überhaupt wichtig? Der Herrgott hat die restlichen 73 Prozent womöglich genauso lieb. Und die Kirche, ob sie das gar nicht weiß, wird doch nie arbeitslos. Und erst recht nicht die Christen und Theologen.
Rüthers, so fasst es Manfred Schröter zusammen, waren 1989 die wahren Inspiratoren, die Erfinder der geistreichsten Pointen auf dem Bebelplatz, die Mutigen und Mutmacher, die ständig Vorwärtsdrängenden. Viel gäbe es allein über Rudolf Rüther zu schreiben von seiner Gefangenschaft im Krieg, seinem Leben in drei Systemen zwischen Anpassung und Verweigerung, von engen Freundschaften. Ein erfülltes Leben ist gelebt. Aber in Gottes Reich geht alles weiter. So endet Rüthers Biografie.
Die Autobiografie Gelebte Zukunft , erschienen im Karin-Fischer-Verlag. Sie ist in der Stadtbibliothek verfügbar.
Der Trauergottesdienst fand am 10. November um 11 Uhr in der Frauenbergkirche statt.
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