Dankbarkeitsmomente - Christusdorn von Pfr. St. Riechelmann

(re) Es gibt sie immer noch, die Gänsehautmomente. Immer wenn Zeitdokumente aus den Wendemonaten auftauchen, bekomme ich Gänsehaut. Als damals 17-jähriger habe ich die Wende und die Öffnung der Grenze vor der eigenen Haustür im Eichsfeld miterlebt. Am heutigen 9. November vor nunmehr 35 Jahren fiel im Herzen Europas die Mauer. Es war eine so spannende Zeit. So viele Möglichkeiten taten sich plötzlich auf. Trotz aller Schwierigkeiten, die die Nachwendezeit und Einheitszeit auch für viele Menschen mit sich brachten, überwiegt bei mir immer noch die Freude. Ein echter Gänsehautmoment. Und ein Glücksfall für die Deutschen und für ganz Europa. Dafür bin ich immer noch dankbar. Jedes Mal, wenn ich im Urlaub ohne jedes Aufsehen eine Grenze passieren darf und mit „meinem“ Geld einen Capucchino oder einen Aperol Spritz bezahlen kann, bin ich dankbar. Dankbar für meine Freiheit, für die Möglichkeit andere Länder zu sehen, neue Menschen kennenzulernen. Dankbar dafür, dass mir niemand vorschreibt, was ich zu denken oder zu sagen habe. Dankbar, dass ich meinen Glauben ohne Repressalien leben kann.
Wir spüren viel Veränderung in der gegenwärtigen Zeit. Viel Unzufriedenheit, bisweilen Wut. Manchmal berechtigt, oft auch überzogen. Unser Land ist im Krisenmodus. Über die Wege dagegen gibt es momentan kaum Einigkeit, viel Streit. Vielleicht würde es helfen, sich der Momente unseres Volkes zu erinnern, für die wir dankbar sein dürfen. Zum Beispiel den Mauerfall. Das löst sicher keine Probleme, aber es lässt uns neu darauf vertrauen, dass positive Veränderungen möglich sind, wenn mehr miteinander als übereinander geredet wird und man gemeinsam an guten Lösungen arbeitet.
Mein Glaube bestärkt mich darin, solche Dankbarkeitsmomente zu suchen und zu bedenken.
Wofür sind Sie heute dankbar?

Pfarrer Steffen Riechelmann
Dom zum Heiligen Kreuz Nordhausen