Mittwoch, 14. September 2022, 13:09 Uhr
Die Gruppe der EKM bei der 11. Vollversammlung in Karlsruhe (Foto: Helena Funke)
Gerda Leidel, die Vorsitzende des Gemeindekirchenrates des Kirchspiels Sollstedt und Mitglied des Kreiskirchenrates, wurde für drei Tage vom Kirchenkreis Südharz zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) entsandt. Vom 31. August bis zum 8. September kamen in Karlsruhe bis zu 4.000 internationale Gäste aus 350 Mitgliedskirchen zusammen. Ein Ereignis, das nur alle acht Jahre stattfindet, und zum ersten Mal in seiner über 70-jährigen Geschichte in Deutschland.
Nach ihrer Rückkehr haben wir mit Gerda Leidel über ihre Eindrücke gesprochen.
Was hatten Sie für ein Gefühl, als sie vom Kreiskirchenrat entsandt wurden?
Vor allem nach der ersten Online-Sitzung mit meinen Mitreisenden dachte ich: Was soll ich denn zwischen all den kirchlichen Mitarbeitern aus verschiedensten Gremien als alte Ehrenamtliche? Kann ich dem Anspruch überhaupt gerecht werden? Das hat mich sehr umgetrieben.
Hat sich diese Sorge bewahrheitet?
Ganz im Gegenteil. Heute bin ich dankbar, dass ich das erleben durfte. Meine Reisegruppe aus 16 Teilnehmern der EKM und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat mir die Bedenken schnell genommen.
Gibt es ein Bild, das Sie mit der Vollversammlung verbinden?
Dieses wunderbar bunte Bild, das Christen aus aller Welt bieten – verschiedene Ornate, Talare und traditionelle Gewänder. Eine unglaubliche Vielfalt.
Was hat sie besonders bewegt an den Tagen in Karlsruhe?
Die Musik hat tiefe Emotionen geweckt. Allein das Singalong-Konzert mit Simon Halsey. Ein Orchester und Kantoreien aus aller Welt musizierten gemeinsam. Dieser Abend hat lange nachgewirkt. Ebenso der Taizégesang Ubi caritas, gesungen aus über 1.000 Kehlen mit Bruder Alois. Gänsehaut! Wir singen es selbst in Sollstedt zu jeder Taizé-Andacht. Aber auch beim Abendgebet war es berührend, Liedern in so fremden Sprachen wie Malayalam, altsyrisch und Ge´ez zu lauschen. Man fühlt die Lieder, obwohl man den Text nicht versteht.
Hat Sie etwas überrascht?
Zum einen, dass für das Singalong-Konzert der Altar der Kirche mit Planken überbaut wurde, damit die Musiker Platz finden. Der Altar! Aber auch die gute Aktion der großen Gruppe junger Delegierter, die lautstark mehr Mitspracherecht forderten. Dem will man bei der nächsten Vollversammlung nachkommen.
Sie durften als Gast an den Sitzungen des ÖRK teilnehmen. Wie fanden Sie das Abstimmungsprozedere?
Das hat mich beeindruckt. Zunächst zeigen Tendenzkarten die Stimmung der Delegierten zu einem Thema: Orange Karte – man kann sich dafür erwärmen, blaue Karte – das lässt mich kalt, ich möchte einen Einwand vorbringen. Alle Einwände mussten, wenn die Zeit ausreichte, vorgetragen und immer schriftlich formuliert werden. Später wurden die Erklärungen dann noch einmal überarbeitet vorgelegt. Und ohne Konsens ging gar nichts, das dauert.
Haben Sie alles verstehen können?
Kopfhörer mit Simultanübersetzungen in vier Sprachen erleichterten die Teilnahme. Mein großer Respekt gilt den Übersetzern, sie haben viel leisten müssen. Aber es wäre gut besser englisch sprechen zu können. Als sich der Bischof von Sansibar in meiner Murmelgruppe zur Bibelarbeit zu mir umdreht und spricht, wurde es sehr eng.
Konnten Sie die Delegierten der EKM treffen?
Ja, sie trafen sich in der Mittagspause mit uns und wir konnten viele Fragen stellen. Uns hat interessiert, ob sie ihre persönliche Meinung oder die der EKM vertreten müssen.
Hatten Sie manchmal auch zwiespältige Gefühle?
Ja, bei uns beginnt Ökumene in der Zusammenarbeit mit den Katholiken. Bei der Vollversammlung ist das anders. Die römisch-katholische Kirche ist auf eigenen Wunsch kein Mitglied. Das hat fand ich merkwürdig. Die katholische Kirche hat eine größere Zahl an Mitgliedern als alle derzeit teilnehmenden Kirchen insgesamt, und damit würde sie in diesem Weltrat dominieren. Da müsste eine Regelung zum konstruktiven Miteinander gefunden werden.
Auch die unterschiedliche Auslegung von Bibeltexten hat mich umgetrieben. Es gab eine Bibelarbeit, da konnten ich und andere der Auslegung überhaupt nicht folgen. Da haben wir hinterher in der Gruppe lange drüber geredet, ob er den richtigen Blick hat oder wir?
Haben sie etwas bedauert?
Schade fand ich, dass das dicke Buch mit allen Andachten und Liedern in vier Sprachen nicht für alle verfügbar war. In meiner Gruppe hat es niemand ergattert. Das wäre ein Schatz gewesen, auch für unsere Gemeinden zu Hause.
Gab es einen humorvollen Moment?
Unser Mittagsgebet mit Landesbischof Kramer. Er hielt es mit uns in der langen Schlange der Essensausgabe. Dass das Essen an dieser Ausgabestelle alle war, und wir uns an einer anderen Stelle noch einmal hintenanstellen mussten, wussten wir da noch nicht. (lacht) Doch die Organisation war sehr gut und hat sich sofort bemüht, dass dieses Problem nicht noch einmal auftritt.
Gibt es eine Erkenntnis, die Sie mit nach Hause nehmen?
Den Satz: Worte heilen keine Wunden, man muss mit versöhnenden Aktionen aktiv werden. Also weniger reden, mehr handeln.
Wie schätzen Sie die Außenwirkung des ÖRK ein?
Ich denke, dass von dieser Vollversammlung zu wenig in unseren Gemeinden ankommt. Das war auch Diskussionsstoff mit unserem Landesbischof. Die Wenigsten haben davon überhaupt gehört, wissen was das ist. Wo ich kann, werde ich jetzt davon berichten und für die Einheit unserer Kirche werben.
Was ist Ihr Resümee?
Ich habe die feste Gewissheit mit nach Hause genommen, dass wir in der Gemeinde, im Kirchspiel, in der Region, im Kirchenkreis anfangen müssen. Nur dann kann die Verständigung auch im Großen gelingen. Und es ist gut und wichtig, dass solche internationalen Treffen stattfinden, es müssten nur mehr junge Menschen eingebunden werden.
Hintergrund:
Die römisch-katholische Kirche ist kein Mitglied der ÖRK. Seit 1965 gibt es eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Vatikan und ÖRK. In wichtigen ÖRK-Kommissionen, z.B. für Glauben und Kirchenverfassung sowie für Weltmission und Evangelisation, arbeiten katholische Theologen als Vollmitglieder mit.
Das Interview führte Regina Englert.