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Predigt von Superintendent Michael Bornschein zum Fest der Begegnung

Donnerstag, 19. November 2009, 19:17 Uhr
Liebe Schwestern und Brüder,
die Erinnerungen an diese wunderbare Erfahrung, dass die Mauer fiel und die Grenzen sich öffneten, sind in den letzten Tagen 20 Jahre danach noch einmal ganz lebendig geworden. Und das gilt ja besonders für euch hier und für alle Menschen, die 28 Jahre quasi in Sichtweite von Mauer und Stacheldraht gelebt haben. Für alle, die miterlebt haben dass die Grenzsicherungssysteme immer perfekter wurden, immer unmenschlicher die Methoden, um Menschen an der Flucht zu hindern.
Dass diese Grenze sich eines Tages wieder öffnen könnte. Sicher, manche haben davon geredet. Aber wirklich geglaubt hat wohl keiner, dass wir das noch einmal erleben werden. Und dann plötzlich gingen die Tore auf…, auch dieses Grenztor hier zwischen Ellrich und Walkenried.

Nun haben Erinnerungen, gerade die wunderbaren, ihren Wert an sich! Im Erzählen und Anschauen von Filmen und Bildern dieses wunderbare Gefühl von damals noch einmal wach rufen, den Geschmack der Befreiung noch einmal schmecken. Das tut uns gut! Erinnern hat immer aber auch die Aufgabe, nach Erfahrungen zu fragen, die wir gemacht haben, die so wertvoll sind, dass wir Sie uns bewahren sollten für unser Leben heute und morgen.
Ich habe in meinem ganz persönlichen Erinnern 3 solcher Erfahrungen aus dem Jahr 1989 wiederentdeckt, die ich für uns alle für wesentlich halte, ganz gleich auf welcher Seite der Grenze wir damals gelebt haben, wie alt wir waren und wie unterschiedlich wir auch den Fall der Mauer und alles was daraus folgte, persönlich erlebt haben.

Die erste Erfahrung: Die Macht der Friedfertigkeit
Den für mich beeindruckensten Satz der friedlichen Revolution hat damals ausgerechnet das Mitglied im Zentralkomitee der SED Horst Sindermann gesagt:
„Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, aber nicht auf Kerzen und Gebete“
Und ermeinte damit: Auf alles waren wir vorbereitet – auf Gewalt, auf Hass, damit hätten wir umgehen können. Das hatten wir erwartet. Aber nicht, dass Menschen unseren bewaffneten Organen mit Kerzen und Gebeten entgegentreten. Die Ohnmacht hatte die Seiten gewechselt!

Denn das kannten wir bis dahin, dieses bedrückende Gefühl der Ohnmacht – die sagt. Du kannst nichts machen und nichts ändern. Aber gerade da haben uns die Worte der biblischen Verheißungen geholfen, auch und besonders die Worte der Seligpreisungen, die wir vorhin gehört haben! Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen! Wunderbare Worte gegen das Gefühl der Ohnmacht und gegen das Gefühl von Hass und Vergeltung!

Das ist ja so, liebe Schwestern und Brüder, wir trauen manchmal den Worten der Bibel nicht recht über den Weg. Wenn uns z.B. der Apostel Paulus schreibt: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem! Dann denken wir schnell, klingt alles gut und schön, aber funktioniert nicht! Das Leben ist anders. Das Böse mit Gutem überwinden? Die Gewalt mit Friedfertigkeit? Klingt ein wenig wie Märchenbuch.
Aber wir haben die tiefe Wahrheit dieser Worte doch erlebt. Wir haben es doch erlebt, wie entwaffnend es gewesen ist, dass Männer und Frauen sich mit Kerzen in der Hand, bestimmt aber freundlich, Armee und Polizei gegenübergestellt haben. Wir haben es erlebt, wie entwaffnend es war, dass wir Christen auch für die gebetet haben, die die Hand am Abzug hatten und ihr Ohr an den unzähligen Abhörgeräten.
Und genau diese Erfahrung dürfen wir uns gemeinsam bewahren: Es ist nicht nur unsere Hoffnung, sondern auch unsere Erfahrung, dass in den biblischen Worten eine tiefe Wahrheit steckt. Das Böse ist nur mit dem Guten zu überwinden. Die Lüge nur mit der Wahrheit. Schuld nur mit Vergebung! Der Hass nur mit Liebe und Gewalt nur mit Friedfertigkeit! Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen!

Die zweite Erfahrung – die haben wir alle erlebt.
Als die Grenzen fielen waren wir Deutschen nicht wieder zuerkennen! Plötzlich lagen sich wildfremde Menschen in den Armen aus Ost und West. Plötzlich überkam uns alle eine unglaubliche Herzlichkeit. Und was haben wir aus dem Osten für eine wunderbare Gastfreundschaft bei euch im Westen erlebt. Wir wurden eingeladen von Menschen, die wir gar nicht kannten. Kirchengemeinden haben ihre Gemeinderäume geöffnet und Vereine und Kommunen. Und auch wenn das jetzt schon 20 Jahre her ist und die Euphorie von damals sich auch bald wieder gelegt hat. Ich möchte euch Brüder und Schwestern aus dem Westen noch einmal von Herzen danken für dieses Geschenk eurer herzlichen Gastfreundschaft. Die 100,00 DM Begrüßungsgeld, über die wir uns damals natürlich auch gefreut haben, die waren irgendwann ausgegeben. Aber die Erfahrung dieser herzlichen Gastfreundschaft, die bleibt! Und diese Erfahrung im Herzen ist alle mal viel mehr wert als 100,- DM im Portmanne. Die ist nicht mit Geld zu bezahlen.

Ich habe mich im Erinnern so gefragt: Ist da nach der Grenzöffnung mit dieser großen Herzlichkeit etwas über uns gekommen, was uns eigentlich fremd ist oder umgekehrt: Waren wir damals so, wie wir tief in unseren Herzen eigentlich wirklich sind oder sein möchten?
Albert Schweizer hat einmal gesagt: Es ist viel Güte unter uns Menschen, aber wir trauen uns oft nicht, sie zu zeigen! Ich denke, er hat Recht. Unser wahres Gesicht ist nicht das misstrauische, nicht das eifersüchtige und neidische. Das alles steckt uns wohl in den Knochen. Das gehört auch zu uns.
Aber es gibt sozusagen noch eine Schicht darunter. Dort, wo die Güte lebt auch gegenüber wildfremden Menschen. Und all das ist 1989 fast wie ein Vulkan aufgebrochen unter uns! Ein Feuerwerk der Gastfreundschaft und Herzlichkeit! So sind wir, wir zeigen es nur nicht immer.
Nein, die Euphorie von damals wird nicht wiederkommen. Aber was wir uns bewahren sollten –

Dass wir uns viel mehr trauen, so herzlich und gütig zu sein wie wir eigentlich sind. Vertrauen immer wieder gegen das Misstrauen setzen. Natürlich haben wir damit auch unsere Erfahrungen gemacht. Es gab nach der Wende die Erfahrungen von Enttäuschung, es gab das Gefühl ausgenutzt zu werden und die Angst, dass wieder geschieht. Angst macht immer Eng und Misstrauen verschließt wieder Türen und Mauern, die schon einmal offen waren.
Ich wünsche uns, dass wir uns von dieser wunderbaren Erfahrung damals, das Zutrauen in unsere Güte und in die Güte des anderen bewahren. Das heißt nicht, dass nicht manchmal auch Vorsicht geboten ist. Güte ist nicht leichtfertig. Aber wenn Misstrauen zum bestimmenden Lebensgefühl unter uns wird, dann gute Nacht Deutschland! Und weil wir als Christen doch wissen, das es eigentlich keine wildfremden Menschen gibt, weil wir doch Gottes Kinder und darum alle Geschwister, sozusagen Verwandte ersten Grades sind. Darum sollte uns das als Christen noch leichter fallen, dass wir uns mutig trauen, so zu sein, wie wir eigentlich sind und sein möchten!

Und zum Schluss eine dritte Erfahrung –
In der vergangenen Woche habe ich einen der vielen Filmberichte über die Errichtung und Perfektionierung der innerdeutschen Grenze gesehen. Und beim Anschauen dieser Bilder, da kam mir wieder dieser Gedanke:
Mensch, und das haben wir uns einfach so 28 gefallen lassen!? Eingesperrt. Nicht reisen zu dürfen, wohin wir wollen. Mit diesen unglaublichen Einschränkungen zu leben besonders in den Grenzgebieten.
Natürlich weiß ich, dass das so einfach nicht war. Diese Grenze war schließlich die perfekt gesicherte Nahtstelle zwischen den beiden großen Machtblöcken in unserer Welt. Was sollte man dagegen schon tun? Und wir sollten auch nicht vergessen, dass es viele politische Versuche verschiedener Bundesregierungen gab, diese unmenschliche Grenze ein wenig menschlicher und auch durchlässiger zu machen. Auch dafür können wir rückblickend dankbar sein!
Aber aufs Ganze gesehen hatten wir uns alle daran gewöhnt. Auch ich!
Und ich bin wieder darüber erschrocken, wie schnell wir Menschen uns doch an Unrecht und Unfreiheit gewöhnen können und damit leben lernen, das es nun mal so ist. Und es macht mich noch rückblickend wütend, dass die SED und Stasi damals so viel Macht über uns bekommen haben, weil wir uns so viel Angst haben machen lassen. Am Ende war es ein System, das nur noch auf Angst aufgebaut war. Denn als die Angst wich, brach die DDR in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Freilich waren die Konsequenzen hart. Ein offenes Wort gegen die Grenze und man war weg vom Fenster, gerade hier im nahen Grenzgebiet. Und freilich war erst 1989 die Zeit reif dafür, hatte sich alles weltpolitisch so gefügt, und das Politbüro so krank, alt und teilweise senil. Aber die Zeit wird immer auch nur dann reif, wenn Menschen sie reifen lassen. Nicht nur in der großen Politik, nicht nur Gorbatschow, sondern auch die, die sich ganz unten keine Angst mehr haben machen lassen. Menschen, die nicht mehr bereit sind, dieses Unrecht einfach so hinzunehmen. Wie z.B. die mutigen Männer und Frauen, die schon im September 1989 auf die Straßen gegangen sind. Als so viele andere sich noch nicht getraut haben. Das waren Männer und Frauen, die die Zeit haben reifen lassen.
Und auch diese Erfahrungen wünsche ich mir, dass wir Sie uns gemeinsam bewahren. Gegen alle Ängste und die unheilvolle Gefahr in uns, dass wir uns daran gewöhnen, dass es so ist, wie es ist.

Und da wird es ganz aktuell: Ich frage mich schon, ob vielleicht meine Enkelkinder mich einmal anfragen werden: Warum habt ihr nicht mutiger etwas getan haben gegen Hunger und Armut in unserer Welt! Oder ganz aktuell: Was habt ihr getan gegen den Klimawandel und mit Blick auf die Generationen, die nach euch auf dieser Erde leben wollen. Wovor hattet ihr Angst, oder wart ihr einfach zu bequem?
Ich wünsche mir, wir würden den Satz: Wir können ja doch nichts machen! aus unserem Wortschatz streichen. Denn er stimmt nicht – das lehrt mich die Erfahrung der friedlichen Revolution bis hin zum Fall der Mauer. Es gibt im Glauben keine wirklich aussichtslosen Situationen. Es lohnt sich immer etwas zu tun. Wie die Friedensgebete in unseren Kirche, die schon 1980 begonnen haben, ganz klein, mit ganz wenigen am Anfang: Die wussten: Wir können etwas tun – und es beginnt mit dem Gebet, das uns aus der Ohnmacht befreit!

3 wesentliche Erfahrungen aus der Zeit vor 20 Jahren, die sich lohnen, dass wir Sie uns bewahren für die Zeit und das Leben das vor uns liegt im wiedervereinigten Deutschland, im vereinigten Europa und in der einen Welt, die Gott uns anvertraut hat, sie zu gestalten und zu bewahren.
Die Macht der Friedfertigkeit, die aus der Ohnmacht befreit!
Die Güte und Herzlichkeit, die alle Fremdheit überwindet! Vertrauen gegen das Misstrauen!
Und die Erfahrung: Es gibt im Glauben keine ausweglosen Situationen.

Dazu segne uns Gott in Thüringen und Niedersachen, in Ellrich und Walkenried und uns gemeinsam hier als Christinnen und Christen im Südharz. AMEN









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